Sharon Ryba-Kahn

Regisseurin, Berlin

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Einen der schmerzhaftesten und schlimmsten Momente hatte ich, als ich das Buch für meinen Film „Displaced“ geschrieben habe. Ich hatte damals nicht verstanden, dass ich die Deutschen die ganze Zeit in Schutz nehme. Warum ist das so? Weil ich Angst hatte, ihnen zur Last zu fallen. Da habe ich gedacht „Verdammt, wenn das nicht Identifikation mit dem Aggressor ist, dann bitte was?“ Dieses Problem kann nur in Deutschland entstehen. Das liegt daran, dass man hier in einem Täterland groß geworden ist und das mit sich trägt.

Sharon Ryba-Kahn
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Sharon Ryba-Kahn
Le jour de la bastille. Ich bin in Paris mit meinen Großeltern. Ich habe davor Eis gegessen und fühle es noch, wie voll ich bin und Karussell fahre. Ich liebe es. Oft haben schöne Erinnerungen weniger Platz in unserer inneren Welt. Da sollten wir ändern.

Mein Nomaden-Dasein ist eine Zerrissenheit, die sehr wohl damit verbunden ist, dass ich eine dritte Generation bin. Diese Zerrissenheit erlebe ich nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Betroffenen.

Als Jüdin bin ich in Deutschland sehr hellhörig und erwarte ständig Dinge, die ich eigentlich nicht hören will – etwas latent Antisemitisches, Rassistisches oder Sexistisches. Deshalb bin ich immer auf der Hut und habe mich daran gewöhnt, mein Herz erstmal zu verschließen oder bereit für einen Kampf zu sein.

Ich bin Französin und Israelin. Aber ich bin weder Deutsche noch bin ich nur eine französische Jüdin oder nur eine israelische Jüdin. Ich bin die Mischung, also die Akkumulation, das Zusammenführen aller dieser Dinge.

In Paris ist die Stimmung anders, aggressiver und direkter, aber sie kippt auch leichter ins Positive. In Deutschland zieht mich dieses Gefühl der Schwere im-mer wieder runter. Deshalb tauche ich regelmäßig in andere Kulturen ein, um zu vergessen, dass ich hier bin. 

Der tiefe Wunsch besteht, sich irgendwo zu Hause zu fühlen. Aber um sich zu Hause zu fühlen, muss man sich vor allem sicher fühlen. Und ich rede nicht von dieser Sicherheit, die mit Antisemitismus zu tun hat, wenn mir jemand sagt „Du scheiß Jude“, darum geht es nicht, denn das habe ich schon erlebt. Es geht darum dass man wirklich akzeptiert wird, für das, was man ist.

Ich habe mich daran gewöhnt, dass man in Deutschland Regeln befolgt. Und ich habe das verstanden und komplett angenommen. Mit Menschlichkeit kommt man nicht weiter. Und bei einem Konflikt musst du beweisen, dass das angewendete System nicht funktioniert oder stimmt. Wenn du beweist, dass das System falsch ist, also when you outsmart the system, dann kommt man weiter.

Im Judentum gibt es das Konzept des Tikkun Olam’s. Das heißt so viel wie die Welt zu reparieren. Und ich glaube, dieser ganz tiefe, innere Wunsch, die Welt zu reparieren, ist etwas was mich sehr prägt.

Als ich mit 14 nach Israel kam, fühlte ich, dass ich hier mit meiner ganzen Leidenschaft existieren durfte. Ich wusste nichts über den Konflikt.

Antisemitismus ist oft reine Dummheit, Aber wenn du dich auf diese Stereotypen einlässt, weil du es nicht besser weißt, oder weil du nicht die Möglichkeit hattest, es besser zu wissen, oder weil du vielleicht wirklich jemandem glaubst, der dir was gesagt hat, dann ist das echt schwierig in diesem Land. Denn hier kannst du nicht sagen, du weißt nicht, was passiert ist. Hier kannst du höchstens sagen: Meine Familie hat sich damit nicht auseinandergesetzt. Aber du selber hast dir die richtigen Fragen zu diesem Thema nicht gestellt. Ich bin einfach sprachlos und denke: "Alter, was geht mit euch?“

Die franco-israelische Regisseurin studierte Schauspiel und Filmproduktion in Paris und New York. Seit 2007 lebt sie in Berlin. Ihr erster Dokumentarfilm RECOGNITION erschien 2015 und wurde auf über 20 Filmfestivals gezeigt. Zwischen 2016 und 2020 studierte sie Dokumentarfilmregie an der Filmuniversität Babelsberg. Ihr Abschlussfilm DISPLACED wurde für den First Steps award nominiert und feierte 2020 Premiere im Dok.fest in München. Sharon ist Doktorandin und ELES Research fellow.