Ich bin geprägt durch die Deutschen und durch das Deutschland, wie es war. Wenn ich zurückdenke an meine Jugend, dann denke ich an Kohl, Genscher und Lambsdorff.
Boris Moshkovits
Unternehmer, Berlin
Wir sind Migranten. Meine Eltern sind 1973 aus der Sowjetunion ausgewandert. Vor allen Dingen aufgrund des Antisemitismus. Meine Eltern haben diese Diskriminierung jeden Tag gespürt und sich gesagt: Das ist nicht unser Land. Und für die Hoffnung auf ein neues und ein stolzes jüdisches Dasein sind sie zunächst nach Israel ausgewandert.
Was ist „das Deutsche“, das mir nicht zugestanden wird? Ehrlich gesagt ist es die Normalität, die mir nicht gegeben wird. Normal und selbstverständlich sagen zu können: Ich bin Deutscher.
Im Ferienlager haben wir häufiger darüber diskutiert: Wer bin ich? Bin ich ein Jude in Deutschland oder ein deutscher Jude oder bin ich ein sowjetischer Jude in Deutschland lebend oder bin ich ein Jude, der in der Sowjetunion geboren ist? Das ging mir immer wieder durch den Kopf und die Frage: wer bin ich, und was bin ich? Am Ende bleibt bei mir übrig: Ich bin Jude. Es ist unzertrennlich mit mir verbunden und meiner Geschichte, mit meiner Familie und mit dem, wie ich die Welt erfahre, im Positiven wie im Negativen
Ich bin nach meinem Abitur 1991 nach Israel gegangen. Mich lockte das Abenteuer. Ich ging in den Süden des Landes, nach Ketura, ein kleiner Kibbuz in der Arava Wüste, gegründet in den 1970ern von amerikanischen Hippies. Und das hatte eine besondere Energie. Das war für mich aufregend, weil es die ersten Berührungspunkte mit Juden aus aller Welt waren.
In der jüdischen Gemeinde in Berlin habe ich, als ich selber schon Anfang 20 war, die 16- bis 18Jährigen im Jugendzentrum und auf Ferienfahrten der ZWST betreut. Die Themen Zionismus, Judentum und ähnliches hatten sie schon oft besprochen. Ich habe mit ihnen deshalb vielmehr über Freundschaft, Vertrauen, Beziehung, Menschlichkeit und (jüdische) Werte diskutiert. Und je älter sie wurden, desto spannender waren die Diskussionen. Und desto fruchtbarer war das auch für mich selbst.
Ich habe den Weltbürger das erste Mal in New York gespürt. Ich kam dort an und merkte, ich bin so viel mehr als das, was ich glaubte zu sein.
In New York war nach zwei Wochen so ein gewisses Gefühl von: Ich bin angekommen. Jüdisch zu sein in New York ist selbstverständlich. Es gibt genug Menschen, die das „konsequent“ leben und es gibt genügend, die das „inkonsequent“ leben. Und es gibt genug, die wissen, dass es diese und jene gibt. Und letztlich interessiert das keinen. Alles ist möglich. Ich muss mich nicht erklären. Judentum ist einfach präsent, nicht zu viel, nicht zu wenig, einfach da.
Im Berliner Prenzlauer Berg konnte ich mich in den 2000er Jahren neu erfinden. Man konnte machen, was man will. Talent war da ohne Ende. Freiheit ohne Ende. Alles war günstig, Wohnungen groß. Zeit war da und Partys auch. Vor allem Inspiration. Die beste Zeit. Und deshalb gründete ich das Magazin berliner. Ich verstand mich als Verlängerung des jüdischen Herausgebers. Also das, was mit dem Zweiten Weltkrieg totgetreten wurde. Das Kulturelle, der Verlag, der Autor, der Intellektuelle, all das geistig Formidable.
Ich kann mich nicht einfach nur einsortieren und funktionieren. Ich bin Gestalter und nicht Verwalter. Das ist etwas, was ich vor allen Dingen gemerkt habe.
Früher habe ich gesagt, ich werde in Deutschland nicht alt werden. Momentan bin ich hier zumindest älter geworden. Werde ich hier alt und sterben? Das weiß ich nicht, weil ich mir die Welt ansehe und schaue, wo könnte es interessant sein für mich und für meine Familie. Gleichzeitig hat es seinen Reiz noch mal ins Ausland zu gehen, wieder eine neue Sprache zu lernen, wieder die ganze Migration von vorne zu beginnen. Ich habe zwar auch Respekt davor, aber ich wäre bereit, morgen auszuwandern und mit der Familie die Koffer zu packen, wenn wir das Gefühl haben, es geht hier nicht mehr oder woanders ist es besser, sicherer, interessanter – oder es ist einfach die Zeit, die Welt zu erkunden und Abenteuer zu erleben.
Boris Moshkovits ist ein Cannapreneur und erfahrener Gründer in der Medien-, Pharma- und Internetbranche. Er war Leiter der Abteilung für digitale Medien bei Ringier Publishing Germany und Herausgeber von Amuse für Vice Media Germany. Zuvor war er als Herausgeber und Verleger in Mailand, Moskau und New York tätig. Er setzt sich für den jüdisch-muslimischen Dialog ein und publiziert zu gesellschaftlichen Themen.